Sound Design
Sound Design
Clout Count in Alicja Kwade's Ausstellung "In Abwesenheit", Berlinische Galerie – Museum für Moderne Kunst, 2022
Die Arbeit von Alicja Kwade (*1979) ist inspiriert von philosophischen, naturwissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fragestellungen. In ihren Skulpturen verhandelt sie Modelle und Konstruktionen zur Wahrnehmung von Realität, um die Möglichkeiten subjektiver und objektiver Erkenntnis zu hinterfragen. Mit „In Abwesenheit“ geht sie der Frage nach, wie sich der Mensch und seine physische Präsenz im Raum auf Grundlage unterschiedlicher methodischer Betrachtungen beschreiben lassen. Die gezeigten Arbeiten in der Ausstellung evozieren ästhetische Erfahrungen abstrakter wissenschaftlicher und philosophischer Theorien.
Die allein durch ihre schiere Größe herausragende Arbeit Clout-Count bezieht sich auf die physische Verortung des Menschen in Zeit und Raum: Ein schwarzer Stahlring befindet sich im Zentrum der Halle und reicht bis unter die Decke. An ihm sind 24 Lautsprecher montiert, über die der Herzschlag der Künstlerin in einer Reihe von wechselnden Raumfiguren in den Ausstellungsraum projiziert wird. Durch Modulation seines Tempos beschleunigt sich der Herzschlag, vervielfacht sich oder verschwindet fast durch die Wände des Museums ins Leere. In einem Moment ist der Herzschlag überlebensgroß, seine ganze Energie konzentriert sich auf die physische Anordnung von Lautsprechern. Im nächsten Moment entfernt er sich vom Besucher und löst sich im Raum auf.
In unserer Arbeit für „CloutCount“ ging es um die Frage, in welcher Weise ihr Herzschlag sich im Spannungsfeld zwischen Anwesenheit und Abwesenheit manifestieren würde. Wie würde sich der Klang ihres Herzschlags in der Berlinischen Galerie wann und wo wahrnehmen lassen? Es ging um die Frage von Größenverhältnissen zwischen dem anatomischen Herzen, der Lautsprecher-Skulptur, dem wahrgenommenen Klang und dem Ausstellungsraum. Es ging um die Wandelbarkeit des Hörereignisses zwischen Realismus und Abstraktion, um die fluide Manifestation und Auflösung von Raum und Raumgrenzen. Und wie würde ein natürlich variierender Rhythmus spürbar werden, der nicht an eine maschinelle Monotonie erinnern, sondern Lebendigkeit ausstrahlen würde?
Um uns diesen Fragen zu nähern, unternahmen wir über einen Zeitraum von mehreren Wochen an einer experimentellen Installation im Studio von Alicja Kwade eine Reihe von Klang-Studien. Basierend auf Körperschall-Aufnahmen von Alicja Kwade’s eigenem Herzschlag entwickelten wir zunächst ein Set unterschiedlicher Klangqualitäten die in immer neuen Mischungsverhältnissen fortlaufend Mikro-Variationen der inneren Klangstrukturen ermöglichte. Diese wurden gesteuert von einem dynamisch variierenden, generativen System, welches in Abhängigkeit von der Herzfrequenz unterschiedliche Charakteristiken und Intensitäten erzeugte. Über das Internet konnte von jedem Ort der Erde Alicja Kwade’s Herzfrequenz in Echtzeit von ihrem Armband an das Audiosystem übertragen werden.
Anschließend formten wir aus den verschiedenen klanglichen Bestandteilen eine Reihe von Raumfiguren, unter anderem mit der Augmentation und Diminution der Herzkammern auf den einzeln ansprechbaren 24 Lautsprechern und 2 Subwoofern, mit den Phänomenen von Präsenz und Entfernung durch Lautstärken, Filter und Reverb, mit der Variation von Richtungen, mit Rotation und Mehrstimmigkeit, mit Momenten der Überraschung aber auch der subtil und fast unmerklichen Veränderung, sowie mit komplexen gegenseitigen Abhängigkeiten der einzelnen Parameter.
Weil das System in Echtzeit arbeitete und alle Parameter stets zugänglich blieben, konnten wir während des abschließenden Kompositionsprozesses im Museum die komplexen Abhängigkeiten an den Ausstellungsraum flexibel anpassen. Ab dem Zeitpunkt der Eröffnung lief das System vollständig autonom über einen Zeitraum von etwa sechs Monaten.
Interessant war für uns zu beobachten, wie die Installation auch die Wahrnehmung der anderen Kunstwerke beeinflusste. Wenn der Herzschlag zu leise oder sogar stumm wurde, veränderte sich der Charakter der gesamten Ausstellung, das Erleben wurde dann durch einen eher distanzierten, reflektierenden und analytischen Zustand geprägt. Ein Gefühl von Nüchternheit und Weitblick, ein Bewusstsein von Kontext und Horizont, ein bewussteres Eigenerleben. Sobald der Herzschlag wieder an Intensität zunahm, fühlten wir uns hingegen stärker mit dem Ort verbunden, als Teil einer Performance, näher an den Details, im Flow. Unsere Wahrnehmung war dann fokussierter auf die einzelnen Exponate. Der Klang der einen Arbeit veränderte die Wahrnehmungsperspektive auf die anderen Arbeiten und die Architektur, und auf uns selbst.